Prof. Dr. Dieter Prokop

Kritische Theorie / Frankfurter Schule / Kulturindustrie / Medientheorie / Medienwissenschaft / Medienforschung / Wirtschaftssoziologie / Kritische Theorie des Gelds / Kritische Theorie Europas

Dieter Prokop (* 1941) ist Professor em. für Soziologie mit dem Schwerpunkt Medien an der Goethe-Universität Frankfurt.









PROKOP, Dieter (2016): Europas Krisen besser verstehen. Tredition Verlag, Hamburg. Auch als eBook.

"Die Krisen der EU versteht man besser, wenn man sie im Zusammenhang mit den Institutionen und Grundproblemen der EU betrachtet und etwas darüber erfährt, wie die Krisen einander bedingen und welche Pokerspiele um Hegemonie und Führungsmacht in Europa gespielt werden."


Einleitung

Europa ist, abgesehen vom Binnenmarkt, auch ein utopisches Projekt: Nie mehr Krieg in Europa! (Den Kosovo-Krieg der NATO, den die rot-grüne Bundesregierung 1999 mitgemacht hat, betrachtet man als Ausrutscher.) Europa ist ein demokratisches Projekt. Also ein freiheitliches Projekt der Realisierung der Menschenrechte. (Das Demokratie-Defizit der EU als Organisationsform betrachtet man als vorläufig.)
     Europa ist auch ein Raum, in dem sich Viele der Schuld bewusst sind, die ihre Vorfahren ihnen aufgeladen haben, von der Inquisition und den Kreuzrittern über den Kolonialismus und Imperialismus bis zum Holocaust und zu den Weltkriegen, die die Deutschen entfesselt haben. Das Bedürfnis, etwas davon heute wieder gut zu machen, ist groß.
     Das Faszinierende an Europa ist auch dessen Vielfalt, nicht nur der Staatsformen und deren Geschichte, sondern auch der Lebensqualitäten. Zur Utopie Europas gehört auch die Toleranz gegenüber anders Denkenden und Lebenden. Berechtigt ist der Unmut der europäischen Bürger, dass die EU die europäische Vielfalt zerstört, durch vereinheitlichende Vorschriften, und regulierende Einmischungen in den Alltag. Die EU tut das, weil die großen Konzerne, die auf dem - wünschenswerten - freien europäischen Binnenmarkt agieren, die Vereinheitlichung wollen, allen voran die Konzerne der deutschen Exportwirtschaft.
     Nur reichen Festreden und Versöhnungszeremonien, idealistische Entwürfe und auch offensive Forderungen nicht aus, um Europa als Friedensprojekt, als Versöhnungsprojekt und auch als Projekt schillernder Vielfalt der Lebensweisen gerecht zu werden. In der Politik ist hierfür Realismus erforderlich und in der Wissenschaft werden realistische Analysen gebraucht, die untersuchen, warum das Wünschenswerte nicht zustande kommt.

     Wünschenswert ist auch die Vermeidung oder gar Lösung der vielen Krisen der Europäischen Union. Sie sind mein Thema. Die Krisen der EU versteht man besser, wenn man sie im Zusammenhang mit den Institutionen und Grundproblemen der EU betrachtet und etwas darüber erfährt, wie die Krisen einander bedingen und welche Pokerspiele um Hegemonie und Führungsmacht in Europa gespielt werden:
     Die Einführung des Euro hatte die Schuldenkrise, vor allem die Griechenlandkrise zur Folge, die wiederum Rettungsmaßnahmen zur Erhaltung des Euro notwendig machte: die Geld-Transferunion ('Rettungsschirm') und die Austeritätspolitik. Also versteht man den Rettungsschirm und die Austeritätspolitik nur, wenn man die Problematik einer zentralen Währung von Staaten mit höchst unterschiedlichen ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen Strukturen kennt.
     Die Austeritätspolitik und die Strukturreform-Auflagen gegenüber Griechenland haben dazu geführt, dass Griechenland keine Möglichkeit zum Schutz der Schengen-Außengrenze (und kein Interesse hieran) hatte und illegal Eingereiste illegalerweise durchreisen ließ. Also versteht man das Durchwinken der Flüchtlinge nach Ungarn, Österreich, Deutschland, Schweden etc. nur, wenn man die Austeritätspolitik bzw. die Politik der Strukturreform-Auflagen kennt und beurteilen kann.
     Die Brexit-Krise versteht man nur, wenn man die Subsidiaritäts-Debatte, die Forderung nach mehr Demokratie und Selbstbestimmung wahrnimmt. sei es in der EU oder, nach dem Brexit, eben außerhalb der EU. Und wenn man diese legitime Forderung von fremdenfeindlichem Nationalismus zu unterscheiden weiß.
     Und ich meine auch, dass man die Flüchtlingskrise falsch versteht, wenn man sie ausschließlich als Flüchtlingskrise betrachtet. Das "Wir schaffen das" war auch ein Mittel, um den Forderungen Frankreichs nach einer verstärkten Integration der Euro-Staaten ein 'starkes Deutschland' entgegenzusetzen, denn in diesem 'Kerneuropa' wären Frankreich und die Euro-Südstaaten in der Mehrheit. Der deutsche Umgang mit der Flüchtlingskrise war also auch ein Spielzug im Pokerspiel um die Führungsmacht ('Führungsverantwortung') in der Europäischen Union.


INHALTSVERZEICHNIS


Einleitung

DAS INSTITUTIONELLE EUROPA

Vorbemerkungen

EUROPAS INSTITUTIONELLE GRENZEN

Teil I: Die fehlende Demokratie
Kapitel 1: Die institutionelle Grenze zwischen dem Binnenmarkt und den Bürgerrechten
   
Teil II: Die lähmende Wirkung des Euro
Kapitel 2: Die institutionelle Grenze, die die Europäische Währungsunion gegenüber der Selbstverantwortung für die eigene 'Volkswirtschaft' setzt
Kapitel 3: Die Realisierung von Bürgerrechten wie Sozialleistungen und Allgemeinwohl-Leistungen gibt es nur, wenn die einzelnen Staaten oder wirtschaftlich gleichstarke Staaten ihre Leistungsbilanz selbst steuern können
 
EUROPAS KRISENHAFTE ENTSCHEIDUNGEN
 
Vorbemerkungen
   
DER LÄSSIGE UMGANG MIT DEN EU-VERTRÄGEN UND
UNTERSCHIEDLICHE WIRTSCHAFTSPOLITISCHE STRATEGIEN
   
Teil III: Die Strategie: Neuverschuldung, Wachstum und die gemeinsame Finanzierung von Schuldnerstaaten
Kapitel 4: Die Schuldenkrise nach der Einführung des Euro: Einführung des 'Moral Hazard', des verantwortungslosen Schuldenmachens, in die Politik der Euro-Staaten
Kapitel 5: Deutschland, der gnadenlose Konkurrent in Europa
Kapitel 6: Die Griechenlandkrise und Eurokrise von 2010 und der von Frankreich durchgesetzte European Stability Mechanism (ESM): ein europäischer Staatsfinanzierungs-Mechanismus
   
Teil IV: Die Strategie: Lohnzurückhaltung, Austerität und Reformauflagen für Schuldnerstaaten
Kapitel 7: Der von Deutschland durchgesetzte Fiskalpakt von 2012 / 2013 und das  'Europäische Semester': Sparmaßnahmen und Haushaltskontrollen
   
DAS DEUTSCHE IMAGEPROBLEM BIS JULI 2015:
'DAS KALTHERZIGE DEUTSCHLAND'
   
Vorbemerkung
   
Teil V: Wie die Euro-Staaten auf deutschen Druck hin die griechische Forderung nach einer bedingungslosen Staatsfinanzierung ablehnten
Kapitel 8: Die Griechenland- und Eurokrise von 2015: neue Kredite nur bei Reformen, Sparmaßnahmen und Beendigung der Klientelpolitik
Kapitel 9: Nationale strategische Interessen in der Griechenlandkrise
Kapitel 10: Juli 2015 im Stern: die Bundeskanzlerin als 'Eiskönigin'
   
Teil VI: Die Flüchtlingskrise als Rache der Griechen für die Ablehnung einer bedingungslosen Staatsfinanzierung. Und weitere Ursachen der illegalen Massenwanderung
Kapitel 11: Ab August 1015: Griechenlands vertragswidriges Durchwinken von illegalen Massenwanderungen nach Deutschland
Kapitel 12: Ursachen der illegalen Massenwanderung: die Globalisierung, die 'failed states' und der 'Jugendüberhang' in den Ursprungsstaaten
Kapitel 13: Der Menschenschmuggel, ein Milliardengeschäft für Schlepperbanden, Betrüger, Täuscher und korrupte Staatsbeamte
   

INSTITUTIONELLE FEHLENTSCHEIDUNGEN
BEI DEN EUROPÄISCHEN VERTRÄGEN
ÜBER FLÜCHTLINGE, ASYL UND GRENZSCHUTZ

   
Teil VII: Die erstaunlich unzulänglichen Verträge von Schengen und Dublin
Kapitel 14: Das legale Reisen im und in den Schengen-Raum: innen frei, außen visumspflichtig
Kapitel 15: Was der Begriff 'Flüchtlinge' nach der Genfer Flüchtlingskonvention bedeutet: politisch Verfolgte, nicht mehr und nicht weniger
Kapitel 16: Die Unzulänglichkeiten der EU-Grenzschutzorganisation Frontex, die keine Grenzschutzpolizei sein darf
Kapitel 17: Kein Recht auf Flüchtlingsstatus und Asyl: Arbeitslose bzw. Arbeitsuchende ('Wirtschaftsmigranten') und ausschließlich Sozialleistungen Beanspruchende ('Sozialmigranten')
Kapitel 18: Der vernachlässigte Schutz der Schengen-Außengrenzen. Erst rein, dann wieder raus - das grausame Spiel der EU mit den illegal Einreisenden
   
Teil VIII: Ein Staat kann den Bürgern anderer Staaten
nicht grenzenlos helfen, denn er hat die Rechte der eigenen Bürger zu beachten
Kapitel 19: Privates und öffentliches Eigentum: ein Menschenrecht und ein Bürgerrecht
Kapitel 20: Warum ein Staat wertvolle öffentliche Güter nicht grenzenlos an die Bürger anderer Staaten veräußern darf
Kapitel 21: Im Extremfall - aber nur dann - steht das Bürgerrecht auf rechtsstaatliche, geordnete Verhältnisse über dem Flüchtlings- und Asylrecht
   
DIE DEUTSCHE IMAGEKORREKTUR AB SEPTEMBER 2015:
VOM 'KALTHERZIGEN DEUTSCHLAND'
ZUM 'HUMANEN DEUTSCHLAND'
   
Teil IX: Die kommerzielle Opfer-Show im Fernsehen und
die 'Willkommenskultur' in Deutschland
Kapitel 22: Warum die News-Agenturen und Redaktionen wollen, dass die Kamerateams ihnen aus Krisengebieten keine sachliche Berichterstattung liefern, sondern anrührende Bilder von weinenden Kindern und verzweifelten Müttern
Kapitel 23: 5. September 2015: 'Merkel öffnet die Grenzen, aus humanitären Gründen'. Die Kanzlerin im Spiegel als 'Mutter Theresa'. Das 'humane Deutschland', grenzenlos hilfsbereit gegenüber allen Opfern der Verhältnisse
Kapitel 24: Tatsachen, die gegen eine Romantisierung der illegalen Massenwanderungen sprechen
   
DER EUROPÄISCHE OPTIMALISMUS
   
Vorbemerkungen
   
Teil X: Rigorose Selbstgewissheit
Kapitel 25: Das große schöne reine 'Wir' und die idealisierte conditio humana
Kapitel 26: Wer menschlich sein will, kann nicht einfach kategorischen Imperativen folgen, sondern ist verpflichtet, Regeln der Angemessenheit zu beachten
Kapitel 27: Selbstgewissheit, die Wurzel des Guten wie des Bösen. Hegels Kritik an Kants kategorischem Imperativ
Kapitel 28: Das Gute und das Böse im Recht und in der Rechtsprechung
Kapitel 29: Der imperiale Hype der Europäischen Union
Kapitel 30: Auch rationale Gesellschaftsverträge können ins Böse umkippen
* * *
Kapitel 31: Exkurs in die Literatur. Shakespeares Othello. Wie selbst hinter rationalen Gesellschaftsverträgen 'der Mensch ein Wolf für den Menschen' bleibt
   
DER DEUTSCHE IDEALISTISCHE HYPE
   
Vorbemerkungen
   
ZWEI SOZIOLOGISCHE ERKLÄRUNGSVERSUCHE
   
Teil XI: Die 'Willkommenskultur' - eine Folge multikultureller Behauptungskämpfe und politisch korrekter Opfer-Mythen?
Kapitel 32: Multikultur als Kampf aller gegen alle. Ein kurzes satirisches Stück
Kapitel 33: Wie in den multikulturellen Profilierungs- und Behauptungskämpfen das Mitleid mit den Opfern als politisch korrektes Kampfmittel missbraucht wird
Kapitel 34: Hinter den Kulissen des pauschalen Mitleids mit allen Opfern: Interessen der Sozialberufe an Staatsstellen und Staatsaufträgen - legitime, aber partikulare Interessen
   
Teil XII: Das Aufgreifen der 'Willkommenskultur' durch die Bundeskanzlerin - eine Folge wahlkampfstrategischer Überlegungen?
Kapitel 35: Imagepflege und die Markt- und Meinungsforschungs-Falle. Warum die Markt- und Meinungsforschung der Politik nur dabei hilft, Gefühle, Stimmungen in der Bevölkerung anzusprechen, nicht aber deren Verstand
Kapitel 36: Warum das "Wir schaffen das" virtuell und darin populistisch war
* * *
Kapitel 37: Exkurs über Erzählstrukturen in der Literatur. Warum es auch in der Politik keine Schande ist, populär sein zu wollen, Popularität jedoch etwas fundamental Anderes ist als Populismus
   
DIE MACHT IN EUROPA
   
Vorbemerkungen
   
DIE FLÜCHTLINGSKRISE ALS POKERSPIEL
UM DIE MACHT IN DER EU.
UND EIN NEUES IMAGEPROBLEM AB JANUAR 2016:
'DEUTSCHLAND ALLEIN'
   
Teil XIII: Der Anspruch auf deutsche 'Führungsverantwortung' und
der Widerstand der Anderen
Kapitel 38: Die Schengenkrise ab Februar / März 2016: Österreich-Ungarn widersetzt sich Merkel. Die Verriegelung der Balkanroute von Mazedonien und Ungarn bis Österreich
Kapitel 39: Januar 2016 in der Presse: die Kanzlerin als 'Die Einsame'. Deutschland 'allein in Europa'
Kapitel 40: Deutsches Europa? Französisches Europa?
Kapitel 41: Die Flüchtlingskrise - mehr als eine Migrationskrise: ein Pokerspiel zwecks Positionierung für die bevorstehenden Auseinandersetzungen über die Integration Europas
   
Teil XIV: Darf Europa Bündnisse mit Staaten eingehen, die die Menschen- und Bürgerrechte nicht respektieren?
Kapitel 42: Kann das Leitbild von 'Politik als Beruf' die amoralische Machterhaltung sein? Durfte Max Weber diese Amoralität zur 'Verantwortungsethik' hochstilisieren?
Kapitel 43: Wie man über das falsch gestellte Machiavellismus-Problem hinausgehen kann: im Praktizieren einer 'Kultur der Angemessenheit'
Kapitel 44: Ab November 2015: Merkels Pakt mit Erdogan. Der Versuch, die Schengenkrise zu lösen
   
Teil XV: Ende? gut?
Kapitel 45: Ab April 2016: 'Flüchtlingskrise gelöst'?
Kapitel 46: Ende April 2016 in der FAZ: die Bundeskanzlerin als 'Supergirl', Verkörperung des 'starken Deutschland' an der Seite des 'Superhelden' Obama
Kapitel 47: Folge des deutschen Pokerspiels: die Teilung der EU in neue / alte Machtblöcke. Gegensätzliche Interessenlagen und gegenseitige Bedrohungen
   
DIE INTEGRATION EUROPAS
   

Vorbemerkungen

   
ANSTEHENDE INSTITUTIONELLE ENTSCHEIDUNGEN UND
KÜNFTIGE KRISEN DER EU
   
Teil XVI: Umverteilung. Die kommenden Attacken der EU-Südstaaten auf das Geld der Steuerzahler und Sparer in den EU-Nordstaaten
Kapitel 48: Die künftigen europäischen Integrations-Verhandlungen. Warum sie zugleich Umverteilungskämpfe zwischen den EU-Staaten sein werden
Kapitel 49: Die Europäische Zentralbank und der deutsche Leistungsbilanzüberschuss
Kapitel 50: Tsipras pokert erneut um den Schuldenschnitt. Die schnell eingedämmte Griechenlandkrise von 2016
* * *
Kapitel 51: Exkurs in die Literatur. Die Grille und die Ameise. Eine Lachgeschichte, in der behauptet wird, dass die Griechen nicht die Grille sind
   
Teil XVII: Selbstbestimmung. Künftige Auseinandersetzungen um mehr Demokratie und um eine flexiblere Währungsordnung
Kapitel 52: 23. Juni 2016. Die Brexit-Krise: Ablehnung der universalen Arbeitnehmerfreizügigkeit und damit des Lohndumping in der EU
Kapitel 53: Die irgendwann notwendigen Entscheidungen: Zentralismus oder Subsidiarität?
Kapitel 54: Das irgendwann kommende Ausbrechen der schwelenden Eurokrise: Euro oder getrennte Währungen für Norden und Süden?
* * *
Kapitel 55: Exkurs in die Literatur: Adam und Eva. Denn der Kern aller europäischen Werte ist das Interesse des Subjekts, zu erkennen, was nützlich und was schädlich ist und das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen

Literaturverzeichnis

 

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