Prof. Dr. Dieter Prokop

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Dieter Prokop (* 1941) ist Professor em. für Soziologie mit dem Schwerpunkt Medien an der Goethe-Universität Frankfurt.









Dieter Prokop (2022): Bevollmächtigte des Weltgerichts.

Tredition, , Hamburg 2022

 

"Ich brauche dem Leser [...] nicht erst zu sagen, daß die Umstände, womit jedes Ding auf dieser Welt umgeben ist, jedem Ding auf dieser Welt seine Größe und Gestalt verleihen - und indem sie es auf die eine oder andere Art verengen oder erweitern, es zu dem machen, was es ist - groß - klein - gut - schlecht - gleichgültig oder interessant, wie es sich eben trifft."

Tristram Shandy in Lawrence Sternes Roman ([1760] 1982: 177)

 

Dieter Prokop zeigt, warum Klientelpolitik, Aktivismus und Bellizismus Umstände sind, die die Gestalt und die Größe der Dinge auf dieser Welt zerstören. Vor allem auch die Demokratie. Und dass man dagegen die Devise setzen sollte: "Mehr Demokratie wiederherstellen."

  

 

Zwei Auszüge aus dem Buch:

 

 

Warum selbst jedes Ei eine Rechtsposition enthält

 

Franziskus in Assisi hatte im Jahr 1206 auf das väterliche Eigentum verzichtet. Er wollte, dass die Leute Luxus ablehnen, und den Gürtel enger schnallen und überhaupt auf Eigentum verzichten. (s. Franziskus' Rede zu  den Vögeln: Hesse [1904] 1988: 61)

Die Polemik des Franziskus gegen das Eigentum war gegen die aufstrebenden italienischen Städte gerichtet: Siena, Perugia, Città della Pieve - und weiter entfernt Urbino, Florenz -, deren herrschende Familien Märkte und Banken gründeten. Den Päpsten war die Diffamierung "der Reichen" und des Eigentums durch den Franziskanerorden zunächst recht. Nur Papst Johannes XXII fand das 1322 versponnen. Denn wer ein Ei oder einen Käse esse, so sagte er, müsse doch wohl eine entsprechende Rechtsposition innehaben. (s. Seelmann 1988: 198) Also ein Eigentumsrecht auf das Ei oder den Käse.

Johannes XXII war 1315 am damaligen Papstsitz in Lyon zum Papst ernannt worden und nahm dann seinen Amtssitz in Avignon. Auch abgesehen von Ei und Käse war er ein Papst des Rechts und des Gesetzes - was auch bedeutete, dass er den kirchlichen Besitz gegen die Angriffe des Franziskanerordens verteidigte. (Über Johannes XXII s. Voltaire 1756, Bd.1: 670 ff.; Sternberger 1994: 820 f.)

Über den Kirchenbesitz kann man streiten. Aber richtig ist bis heute: Es gibt kein Ei ohne Rechtsposition. Rechtspositionen können auf formell gesetztem Recht und Gesetz beruhen oder auf Gewohnheitsrecht. Abgesehen vom Recht der Kirche auf ihr Eigentum gibt es auch ein Recht, das den gemeinsamen Besitz von Eigentum regelt. Oder ein Gewohnheitsrecht, das Gemeinsamkeit regelt. So kann es in einem Dorf zur Gewohnheit geworden sein, dass alle Dorfbewohner sich bei einem Bauern bei dessen Hühnern und in dessen Käserei bedienen, ohne den Bauern zu fragen und ohne zu bezahlen. So wie der heilige Franziskus das bei den Vögeln feststellte und für gut befand. Aber man hätte bei genauerem Hinsehen wohl festgestellt, dass dieses Gewohnheitsrecht in jenem Dorf auch auf eingeübten Verpflichtungen der Dorfbewohner gegenüber jenem Bauern beruhte. Also auf Tauschbeziehungen. So hätte es sein können, dass der Nachbar vielleicht dem Hühner-Besitzer und Käse-Macher die Körner für dessen Hühner oder das Stroh für dessen Schafe lieferte. Denn es ist doch klar, dass kein Eier- und Käse-Bauer sich von den Anderen im Dorf beklauen lässt. Ebenso klar ist es bis heute, dass die Vögel, die sich bei Jemandem auf dessen Aprikosenbäume stürzen sobald die Früchte reif sind, Räuber sind.

  

Der Räuber Moor als "Bevollmächtigter des Weltgerichts" -

und der bescheidenere Tristram Shandy, Gentleman

 

Die ganze Welt moralisch im Blick hat bei Friedrich Schiller der stark idealisierte Räuber Moor, der sich selbst als "Bevollmächtigter des Weltgerichts" sieht. (Die Räuber [1800] 2009: 283, 5. Aufz., 6. Auftr. 20. Zeile) Da muss es immer die ganze Welt sein. - Wie bescheiden ist dagegen bei Lawrence Sterne der "Wichtigkeitskreis" des Tristram Shandy. Er ist auf 4 bis 5 Meilen Umfang beschränkt:

"So daß nicht nur das ganze Kirchspiel, sondern auch noch 2-3 Meilen innerhalb der Grenzen des anstoßenden Sprengels mit einbegriffen waren [...]." ([1760-67] 1982: 56, 13. Kap.)

Deshalb kann der nüchterne Tristram auch in aller Bescheidenheit feststellen:

"Es ist ein besonderer Segen, daß die Natur des Menschen das Gemüt des Menschen mit derselben glücklichen Abgeneigtheit und Widerspenstigkeit gegen Überzeugung ausgestattet [hat], wie man an alten Hunden bemerkt, - daß sie keine neuen Kunststücke mehr lernen wollen." (A.a.O.; 240, 34. Kap,)

Dem Räuber Moor ist diese glückliche Abgeneigtheit und Widerspenstigkeit gegen Überzeugung nicht gegeben. - Den Räuber*innen Moor bis heute nicht.

 

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