Prof. Dr. Dieter Prokop

Kritische Theorie / Frankfurter Schule / Kulturindustrie / Medientheorie / Medienwissenschaft / Medienforschung / Wirtschaftssoziologie / Kritische Theorie des Gelds / Kritische Theorie Europas

Dieter Prokop (* 1941) ist Professor em. für Soziologie mit dem Schwerpunkt Medien an der Goethe-Universität Frankfurt.








Dieter Prokop (2011): Die Kreativität des negativen Denkens. Tectum Verlag, Marburg / / ISBN: 978-3-8288-2734-9

 

Negativ denkt man,
wenn etwas anders werden könnte

     Du suchst dein Glück. Du hast Wut auf etwas. Du nimmst Widersprüche wahr.
     Du bist zu intelligent, um dich mit Sprüchen zu begnügen wie 'Man muss eben positiv denken' oder 'Unser Schicksal steht in den Sternen'. Du willst deine Suche nach dem Glück realistisch angehen. Du willst deine Wut, deine Wahrnehmung artikulieren, durchdenken.
     So kann der Ausgangspunkt für negatives Denken aussehen.

     Das ist kein rein subjektiver Ausgangspunkt! Es ist zugleich ein objektiver, denn es gibt da eine Sache, ein Etwas: Man hat Wut auf etwas oder man hat etwas in seiner Widersprüchlichkeit beobachtet. Und man möchte seine Wut oder Skepsis begründen, man sucht nach deren Objektivierung.
     Negatives Denken ist keine Empfindung, keine subjektive Haltung! Negatives Denken ist Arbeit an einer Sache, Arbeit mit einem Material. Man leistet Denkarbeit, entwickelt Realitätssinn.

     Es wäre falsch, würde man negatives Denken als Pessimismus identifizieren und glauben, die Lösung aller Probleme sei erreicht, wenn man an den Optimismus glaubt.
     Wenn der Schriftsteller Dan Greenburg in seinem humorigen Lebensberatungs-Büchlein Die Kunst, sich schlecht zu fühlen (2002) lustig schreibt: "Negatives Denken ist die Fähigkeit, sich ein kleines Liebesnest vorzustellen, an das sich Rosen schmiegen, und dabei nur Hypotheken und Rosenkrankheiten im Kopf zu haben. Es ist die Fähigkeit, Trübsinn zu kultivieren, immer auf der düsteren Seite des Lebens zu wandeln und Sorgen nicht an der Türschwelle zurückzulassen." (A.a.O.: 20, Kursivierungen im Original)
     - dann lehnen wir das ganz humorlos ab! Warum soll es zu Trübsinn führen, wenn man denkt? Man denkt schließlich, um mehr vom Leben zu erfahren, mehr zu wissen! Das macht nicht trübsinnig, sondern glücklich!
     Natürlich können Gefühle der Ausgangspunkt für negatives Denkens sein, aber wieso sollen das trübsinnige sein?

     Wer negativ denkt, ist zu schlau, um sich mit pessimistischen Sprüchen wie; 'Wenn etwas schieflaufen kann, dann läuft es auch schief' zufrieden zu geben.
     Oder mit optimistischen Sprüchen wie: 'Wir leben in der besten aller möglichen Welten' oder 'Alles wird gut'.
Wer negativ denkt, möchte Denkarbeit leisten und Realitätssinn entwickeln.
     Das wollen wir untersuchen.


Ein Dialog:
Warum ist negatives Denken überhaupt von Interesse?

     DER POSITIVE "Wollen wir nicht alle positiv sein, positiv denken?"
     DER AUTOR "Wir alle wollen glücklich sein. Glücklich wird man nur, wenn man im Alltag einen gewissen Realitätssinn entwickelt. Und wer realistisch denkt, denkt negativ."
     DER POSITIVE "Wer will denn negativ sein? Schließlich wünschen wir uns alle 'Einen schönen Tag noch' und nicht 'Einen hässlichen Tag noch'."
     DER AUTOR "Jeder Mensch, der mit offenen Augen durchs Leben geht, denkt negativ."
     DER POSITIVE "Nur Misantropen und Nihilisten, Nörgler und Sauertöpfe denken negativ."
     DER AUTOR "Leute mit Realitätssinn denken negativ. Wir werden in diesem Buch die Dimensionen dieses Realitätssinns herausarbeiten."
     DER POSITIVE "Können Sie nicht in einem Satz sagen, was Sie uns sagen wollen?"
     DER AUTOR "Wenn Sie das wollen, hier das ganze Buch in einem Satz: Negatives Denken ist 1. analytisch; 2. es ist moralisch; 3. es beobachtet realistisch und nimmt das Unterdrückte und das Mögliche wahr; 4. es sucht Lebendigkeit und Glück; 5. negatives Denken sucht die Vergleichbarkeit und rationale Identität der Sachen; 6. es sucht Angemessenheit; 7. es ist kreative konstellative Arbeit mit dem vorhandenen Material."
     DER POSITIVE "Negatives Denken braucht kein Mensch."
     DER AUTOR "Es gibt Leute, die wollen lebenstüchtiger werden, und die sollen mein Buch lesen. Das Buch ist ein wissenschaftliches Buch, kein Lebensberatungs-Buch, aber auch wissenschaftliche Bücher können nützlich sein."
     DER POSITIVE "'Lebenstüchtig' wird man ganz einfach: Man muss nur positiv denken."
     DER AUTOR "Wenn Sie 'denken' sagen, meinen Sie 'fühlen', 'empfinden'. Von Denken kann man nur reden, wenn jemand wirklich denkt, also analytisch vorgeht und den Sachen gerecht werden möchte."
     DER POSITIVE "Ihr Begriff von 'Denken' ist alteuropäisch. Das ist längt überholt. Neuerdings zeigt uns die Hirnforschung, dass der Mensch von unbewussten Gefühlen determiniert ist, denn die Hirnströme im limbischen System sind Millisekunden vorher da, bevor ..."
     DER AUTOR "Ich muss Sie leider unterbrechen, offenbar wollen meine unbewussten Hirnströme, dass ich jetzt anfange."

Das Literaturverzeichnis ist in dem Buch nachschlagbar.

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